Drei Fragen an Dr. Christoph Ullrich zum Jahreswechsel 2018/2019
von Manuel Heinrich

01. Juni 2018
Das
Gießener Keller Theatre ist das älteste englischsprachige Theater
Deutschlands und feiert am 16. Juni 2018 seinen 60. Geburtstag.
Wir gratulieren und fragen Maria Valentina Kiefer und Martin P. Koob im Interview, warum das Theater ausgerechnet in Mittelhessen steht und was sich
die Macher für die Zukunft vorgenommen haben.
Willkommen - wer sind Sie und was machen Sie aktuell im Keller Theatre?
Koob: Ich bin Künstlerischer Leiter des Theaters und stand lange Zeit an der Spitze des Fördervereins. Diese Funktion habe ich letztes
Jahr abgegeben, um mich mehr dem Theater widmen zu können.
Kiefer: Ich bin Martins Nachfolgerin als erste Vorsitzende des Vereins Friends of the Keller Theatre e.V.. Wir haben aber beide nicht
nur eine Funktion, denn wir führen auch Regie und/oder spielen als Schauspieler/in in den Stücken mit. Sie sind wie alle am Keller Theatre ehrenamtlich
tätig.
Was ist die Hauptbeschäftigung von ehrenamtlichen Theatermachern?
Kiefer: Ich bin Masterstudentin an der Philipps-Uni Marburg im Studiengang Europäische Ethnologie.
Koob: Ich arbeite als Financial Controller in einem Beratungsunternehmen in Frankfurt. Das ist kein Widerspruch, denn auch im Theater
habe ich gerne den Überblick.
Das älteste englischsprachige Theater Deutschlands steht in Gießen. Warum gerade dort?
Der US- Armee, die nach dem Krieg hier geblieben ist, war es irgendwann zu langweilig. Die wollten für sich etwas schaffen, damit Sie Beschäftigung haben und wo Sie sich selbst engagieren können. So haben sich einige Jungs zusammengefunden und haben 1958 dieses großartige Theater gegründet. Es bot sich an, die Räumlichkeiten in der alten Volkshalle, der Miller Hall, unten im Keller zu nutzen. Dort wurde geprobt und eine kleine Bühnenshow auf die Beine gestellt.
Es waren also alles US-Soldaten?
Ja, es waren anfangs nur Soldaten, die dort Stücke aufgeführt haben. 1958, im ersten Jahr ein Stück, im darauffolgenden bereits drei Stücke. Und ab 1960 interessierte sich auch der Rest der Gießener Bevölkerung dafür, besonders Studenten. Von wegen „Huch, da ist ja ein kleines Theater!“
Im Gegensatz zu dem Kasernengebiet war das Theater von Beginn an öffentlich?
Ja, das Theater in der Miller-Hall war nie abgeschirmt und für jeden Bürger zugänglich. Und ab 1961 gab es sogar schon die ersten nicht-amerikanischen Mitspieler. Das Theater war also ein „Produkt“ der US-Soldaten.
Die Soldaten sind weg, warum ist das Kellertheater noch hier?
Koob: Sie haben es hier gelassen, dass stimmt (lacht). Im Oktober 2007 haben sich die Amerikaner aus Gießen zurückgezogen und da haben
wir uns gesagt, dass man im 49. Jahr kein Theater kaputt gehen lassen kann. Erst recht nicht, weil wir seit Jahren daran mitbeteiligt sind.
Ich selbst habe seit 1987 auf dieser Bühne gestanden und da sind es für mich schon zwanzig Jahre gewesen. Als die Amerikaner 1993 erstmals über einen
Abzug gesprochen haben, wurde ein Förderverein gegründet, „friends of the Keller Theatre e.V.“, der erst mal im Hintergrund gearbeitet und finanziell
sowie bei Kostümen unterstützt hat. Und als die Amerikaner 2007 wirklich abzogen, hat der Verein den Betrieb als Träger vollends übernommen.
Hat der Verein viele Mitglieder?
Naja, wir wünschen uns mehr. Wir sind jetzt bei über 60, fast 70 Mitgliedern und würden dies gerne ändern. Wir hätten gerne eine größere Trägerschaft und da arbeiten wir dran.
Können Sie denn beziffern, wie viele Zuschauer sie in den 60 Jahren hatten?
Genau können wir das nicht beziffern, aber ich habe Zahlen für die sieben Jahre von 2011 bis heute und da waren es 10.200 Zuschauer.
Können Sie sagen, was denn das beliebteste Stück bis jetzt war?
„Fiddler on the roof“. Keine genaue Zahlen, aber mal grob gerechnet: 120 Zuschauer á 27 Vorstellungen sind 3240 Personen. Wir haben diese Vorstellung sieben Wochen am Stück durchgehend gespielt.
Das ist Musiktheater - es wird also nicht nur Sprech-Theater gespielt?
Ja, das war ein Musical mit einem kleinen Orchester. Dazu muss man sagen, der Standort war zu diesem Zeitpunkt noch in der Rödgener Straße und da waren der Platz und die Kapazitäten für das Stück da. Weil die Publikumsnachfrage danach sehr hoch ist, versuchen wir auch immer mal wieder, Musicals einzubinden, aber die Produktionen sind sehr aufwendig: Man muss das Theaterstück und die Musik einzeln einstudieren.
Gibt es ein sogenanntes „Muss“-Stück, das aus Ihrer Sicht immer wieder in das Programm rein sollte?
Nein, das wäre uns zu eintönig und das wollen wir nicht. Wir wollen mehr Varietät.
Gab es ein Stück, das am längsten gespielt wurde?
Erneut „Fiddler on the roof“, aber es gibt auch Stücke, die immer mal wieder kommen. Die „Glass Menagerie“, „Who’s afraid of Virginia Woolf“ oder Shakespeare zum Beispiel.
Übernehmen Sie bei Shakespeare die Original-Wortwahl oder in manchen Fällen eine vereinfachte Version der Stücke?
Wir bleiben Shakespeare sehr gerne treu. Mit Sprachcoaches, die Muttersprachler sind, üben wir miteinander und helfen allen Schauspielern, die Wortwahl von Shakespeare zu übernehmen und zu verkörpern. Wir lieben die Sprache und es ist zugleich eine schöne Weiterbildung.
Wie erfolgt generell die Selektion der Stücke?
Koob: Man kann Vorschläge äußern, aber am Schluss entscheide ich das als künstlerischer Leiter. Ich mache Theater, seitdem ich sechs Jahre alt bin und englisches Theater, seitdem ich 16 bin. Ich reise viel in Europa rum und schaue mir Stücke an. Ich kenne viele Menschen aus dem Theater weltweit und gucke, was momentan so gefragt und aktuell ist. Ich schaue was zu uns passt, welche Kapazitäten wir haben, welche Stücke mal was anderes wären und daraus entsteht dann ein neuer Spielplan.
Gibt es eine Reihenfolge, nach der die Stücke in der Spielzeit gespielt werden?
Ja, es gibt ein Konzept dahinter: Das erste Stück im Herbst ist meist ein Krimi, passend zum Krimifestival. Zu Weihnachten führen wir meist einen Klassiker oder ein Musical auf. Im Frühjahr gibt es meist ein anspruchsvolleres Stück. Zum Sommer hin etwas leichtes, lockeres, ein Stück mit etwas „Pepp“.
Was war ihre liebste Spielstätte?
Die Rödgener Straße. Der Raum war ideal. Es spiegelte das originale Keller Theatre wieder, nur eine Nummer größer. 120 Plätze, von drei Seiten bespielbar und einen großen Backstage-Bereich. Das Gebäude gibt es immer noch, aber es verfällt.
Welche Zielgruppe sprechen Sie an?
Eine spezifische Zielgruppe haben wir gar nicht. Wir wenden uns von jung bis alt an alle und wollen gar keine Differenzierung.
Kommen auch Menschen mit amerikanischem Hintergrund zu Ihnen oder Menschen, die jedes Jahr regelmäßig wiederkommen?
Ja. Wir haben tatsächlich Leute, die das Keller Theatre von früher kennen, die aus Gießen weggezogen sind und trotzdem jedes Jahr zu Vorstellungen kommen. Wir haben wirklich ein Publikum, dass von überall herkommt und auch Menschen, die seit 40 Jahren dabei sind. Jeder darf kommen und ist angesprochen!
Wollen sie sich vermehrt online aktiv zeigen, um mehr Zulauf zu erhalten?
Kiefer: Was die Verbreitung angeht, bin ich gerne für neue, junge Methoden offen, jedoch darf man nicht vergessen, dass wir in der „Kleinen Bühne“ eine genaue Begrenzung der Zuschaueranzahl haben. Die letzten Vorstellungen waren komplett ausverkauft und das hat mit der Werbung, die wir gemacht haben, bereits funktioniert. Eigentlich möchte ich gerne auf anderen Plattformen aktiv werden, aber dann kommt das Problem der geringen Kapazität wieder auf. Es ist etwas schwierig zu handhaben.
Was ist Ihr Einzugsgebiet?
Die ganze Region Mittelhessen und darüber hinaus, wir arbeiten zum Beispiel mit Schulen aus Butzbach, Marburg, Gießen. Und unsere Künstler kommen aus ganz Hessen: aus Bad Nauheim, Marburg, Frankfurt, und sogar Kassel.
Sie erreichen Schulen und diese besuchen das Theater: kommt es oft vor, dass Schüler dann auch mitmachen möchten? Gibt es ein Mindestalter?
Nein es gibt kein Mindestalter. Man muss immer sehen, welche Rollen gibt es und dementsprechend fällt die Wahl der Schauspieler aus. Wir haben aber schon häufig Schüler dabei gehabt.
Arbeiten sie also auch viel mit Lehrern zusammen?
Ja, immer wieder stehen Lehrer auf unserer Bühne. Diese wiederum laden meist auch Lehrer als Zuschauer ein und das ist eine interessante Mischung.
Sind Sie mit den anderen englischsprachigen Theatern aus Deutschland vernetzt oder herrscht da eine gewisse Konkurrenz?
Kiefer: Nein, Konkurrenz würde ich nicht sagen. Aber das ist mein Ziel für meine Amtszeit: Die Vernetzung ausweiten. Es gibt viele Möglichkeiten, andere Theater zu unterstützen und auch von Ihnen Hilfe zu bekommen. Man muss aber auch die Organisationsform etc. beachten und schauen, wie die Zusammenarbeit funktionieren kann.
Wie kann man sich ein Casting bei Ihnen vorstellen? Wie läuft das ab und für wen ist das zugänglich?
Alle Menschen sind willkommen. Wir möchten ein Team aus verschiedenen Menschen haben, damit das Theater von mehr Schultern getragen wird, um den Vorstand, sowie alle Aktiven zu entlasten. Das Casting dient sowohl für die zu vergebenden Rollen, aber auch für den Backstagebereich, für alles was so ansteht. Das Wichtigste ist für uns zu schauen: Wie verhalten sich die Leute, wenn sie einen Text bekommen? Wie offen sind sie für Spielvorschläge? Wie gut können sie miteinander? Wie gut können sie improvisieren? Aber das ist kein Grund nervös zu sein. Das Casting läuft in einer sehr offenen, familiären Atmosphäre ab. Man muss nichts vorbereiten und man muss kein native speaker sein.
Wer trifft die Auswahl?
Die jeweilige Regisseurin oder der Regisseur.
Sie haben anlässlich Ihres 60. Geburtstages ein Publikumsvoting für die Stücke im Jubiläumsjahr gemacht - wie bewerten Sie den Ausgang dieser Abstimmung?
Einerseits gab es viele Stücke, die wenig Stimmen erhalten haben. Andererseits wenig Stücke, die viele Stimmen bekommen haben. Jetzt haben wir aus den best-bewertenden Stücken, natürlich angepasst zu unseren Anforderungen, gesagt, wir machen aus der Auswahl der besten Stücken einen Krimi, dann etwas, was zu Weihnachten passt. Danach ein Stück mit entsprechenden Anspruch und zuletzt eine Komödie, um den Sommer bisschen aufzulockern.
Zum Geburtstag darf man sich etwas wünschen! Was wäre Ihr Wunsch für die Zukunft des Keller Theatre?
Ein Herzenswunsch wären die eigenen Räumlichkeiten. Wir würden gerne einen Ort haben, an dem wir mehr Platz haben, einen eigenen Backstagebereich mit Werkstatt haben, um dort arbeiten zu können und eine Bühne, die mehr Möglichkeiten für neue Stücke bietet. Gerne auch mit anderen Gruppen zusammen, unter unserer Federführung, da wir ein Jahresprogramm und somit entsprechende Anforderungen auch schon zeitlicher Natur haben. Und ein zweiter Wunsch: Ein verlässlicher Sponsor, der jederzeit bereit ist, uns zu unterstützen.
In 60 Jahren gab es schon viele Schauspieler – kennt man davon jemand?
Ja, im vergangenen Jahr hat es Artur Molin zu The Voice of Germany geschafft, der ist inzwischen professioneller Musicaldarsteller, Sänger und Schauspieler. Und natürlich der in Gießen geborene TV-Moderator Jochen Schropp. Aber auch Thaddäus Meilinger, der heute in GZSZ spielt, hat bei uns vor Jahren mehrfach mitgemacht.
Gab es in den 60 Jahren ganz besondere Highlights?
2012 haben wir am Cry Havoc Theatre Festival teilgenommen, da wurden an einem Tag an 20 Bühnen weltweit die selbstgeschriebenen Stücke des gleichnamigen New Yorker Theaters anlässlich seines 15. Geburtstages aufgeführt. 2014 waren wir bei der Landesgartenschau in Gießen dabei. Die Kooperation mit der Justus-Liebig-Universität, die momentan leider ruht, da uns ein Ansprechpartner fehlt Die Zusammenarbeit mit Autoren aus aller Welt, die teilweise extra für das Keller Theatre Stücke geschrieben haben. Und die Aufführung von „Who‘s afraid of Virgina Woolf“ im Dachgeschoss des Mathematikums, das war ein Super-Raum und eine tolle Kooperation. Ein Highlight soll auch unser Geburtstagsfest werden, das findet am 16. Juni 2018 bei freiem Eintritt statt – herzliche Einladung!
Vielen Dank für das Interview und alles Gute zum Geburtstag!
Das Interview führten Manuel Heinrich und Felicia Waldschmidt im Rahmen Ihres Praktikums beim Regionalmanagement Mittelhessen.
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